Samstag, 27. September 2008

Von Bergen, Tragetaschen und heldenhaften Busfahrern

Ei ei ei. So viel passiert.
Zum Beispiel habe ich den ersten Sonnentag in Wroclaw erlebt. Oder habe ein neues lustiges Beispiel für den polnischen Hang zum Anarchismus ausmachen können. Ich habe an der Oder "Fische gucken" gespielt und meinen ersten (und wahrscheinlich nicht letzten) Feueralarm im Wohnheim hinter mich gebracht. (Ausgelöst durch geselliges Beisammensein mehrerer Erasmusstudenten mit zu vielen Zigaretten).

Aber der Reihe nach. Zunächst einmal möchte ich kurz meinen Polnischunterricht schildern, der seit Freitag (26. September) vorbei ist. Ich war in einer Gruppe von 5 Leuten - 3 Deutsche und 2 Tschechinnen. Alle 4 außer mir waren schon verdammt weit mit dem Polnischen, was das Sprechen anbelangt. (Zum Teil auch, weil es Muttersprachler sind). Das war echt schwer, aber dafür konnte ich die grammatische Theorie dank meiner Sprachausbildung ganz vernünftig über die Bühne bringen. Tests gab es keine und auch sonst war das alles eher nach dem Motto: "Herzlich Willkommen in Polen! Unsere Sprache werdet ihr leider nie perfekt können, aber dafür machen wir es uns jetzt zwei Wochen lang mal ein bißchen gemütlich. Möchte jemand einen Tee?" Wie erwähnt: Der Kurs ging am letzten Freitag zu Ende.

Am Freitag war auch der erste sonnige, unfassbar schöne Tag. Den hab ich gleich mal für eine Erkundungstour genutzt. Ich habe mich nach 2h ganz gut zu Recht gefunden. Da ich hier ständig Angler sehe, habe ich mich in einem Angelgeschäft mal nach Vorraussetzungen und vor allem Preisen erkundigen wollen. Ich habe auch ein Geschäft gefunden, aber angesichts der Preise des Geräts erstmal von dem Gedanken Abstand genommen. Der Erlaubnisschein wäre weniger das Problem.
Abends bin ich dann bei uns um die Ecke an der Oder entlang gelaufen. Wirklich, man merkt nicht, dass man in einer Stadt ist. Wie „bei uns“ ein unscheinbarer Damm, rechts mit tollen Eichen bepflanzt und links die Oder. Und immer mal wieder ein kleiner Weg durch das Dickicht bis ans Oderufer. Für die Angler. … Ich habe dann zwei Stunden Fische gucken gespielt. Ich weiß, dass ich damit alle bis auf zwei Leser langweile, aber wer nichts über langweilige Fische wissen will, der kann im nächsten Absatz weiter lesen. Ich habe mich ans Ufer gesetzt und die Fischbrut direkt in Ufernähe betrachtet. Mir genau gegenüber ist die Sonne im schönsten Orange untergegangen. Unter den Fischen konnte ich definitiv drei Arten ausmachen: Kaulbarsche, dann das zu 90% vorherrschende Fischlein, das ich nicht genau identifizieren konnte (Ukelei? Plötze?), sowie Gründlinge! Mit der Abenddämmerung wurde es am Wasser (wie so oft) richtig spannend. Erst plätscherte es drei Meter rechts von mir und nur einen Meter vom Ufer entfernt gewaltig, dann links zweimal. Ich blieb ganz ruhig sitzen und habe die Fischbrut beobachtet. Manchmal stoben sie wie auf Kommando in eine Richtung davon, und folglich musste aus der Entgegengesetzten etwas kommen, das die Flucht ausgelöst hat. Dreimal habe ich nichts gesehen, aber beim vierten Mal schwamm recht zügig ein sehr großer Fisch vorbei. Was es war weiß ich nicht. Später aber habe ich noch einen Finger breit von der Uferböschung entfernt einen riesigen Barsch auf mich und die kleinen Fische zuschwimmen sehen. Als dann die Sonne untergegangen war, wurde es mir zu kalt und ich bin gegangen. Den Plan doch nicht zu angeln muss ich mir noch einmal überlegen. …

Ich habe auch ein paar Photos machen können. Hier ein paar Eindrücke:
Meine Fakultät - gegenüber der Hala Targowa

Blick aus meinem Fenster - McDonalds, Konny, Patrik, ihr wisst was das heißt. ... (unten)

















Polnischer Parkanarchismus. Harmloses Beispiel.






















Blick von der einen Oderseite auf die Dominsel. Quasi übers Wasser ... . (oben)



Das war zwei Stunden lang mein Ausblick an der Oder. Es gibt Häßlicheres.








Was ich seit meiner Ankunft außerdem noch machen wollte ist mich bei meinen Karlsruher Freunden zu bedanken. Das Buch ist echt wirklich richtig toll super! Ich habe es natürlich mitgenommen und gucke es mir hin und wieder an. Es ist eine tolle Idee und etwas sehr sehr nützliches für diese Reise! DANKE DANKE DANKE!!!

Ich möchte in den nächsten Wochen versuchen ein Fahrrad zu bekommen. Der Weg zur Uni ist zwar wirklich schön, aber er würde durch ein schnelleres Fortbewegungsmittel nichts von seiner Pracht einbüßen. Und ich könnte etwas länger schlafen. :D Ich bin sehr gespannt auf Montag, weil ich dann meinen Stundenplan zusammenstellen kann. Ich weiß, dass ich während des Semesters Polnisch am Montag und Mittwoch lernen werde – ähnlich wie im bisherigen Sprachkurs. Aber sonst? Meine Uni schreibt mir nicht wirklich etwas vor, aber lernen möchte ich selbstredend trotzdem etwas.
Nun ja, der Weg zur Uni bislang hatte seine Reize. Allein jeden Morgen die Parkanarchie, die sich hier ebenso wie in Moskau weiter Verbreitung erfreut, zu erleben ist etwas, das den morgendlichen müden Geist auf Vordermann bringt. Ich plädiere nicht dafür auch in Deutschland zum blanken Chaos zu wechseln, aber hin und wieder ein Auge zu zudrücken fände ich nett. „Ja, wissen Sie Herr Gesetzeshüter, ich habe jetzt hier auf der linken Spur der Stadtautobahn geparkt, weil ich da hinten in dem Geschäft auf der anderen Seite noch eine Kleinigkeit für die Kinder holen wollte. Sie kennen das, die lieben Kleinen …“ Ja doch, das kann ich mir gut vorstellen.

Heute waren wir (das heißt eine Gruppe von ca. 30 Erasmusstudenten plus Begleiter) in, bzw. auf dem Ślęża. Ein Berg südwestlich von Wroclaw, der dem Gebiet Niederschlesien eventuell seinen Namen gegeben hat. Es ist gar nicht so weit von Patriks Haus entfernt und auf jedem Fall auf dem Weg dorthin. Und es lohnt sich!!! In der Anmeldeemail hieß es, dass wir wandern gehen würden, was für mich wiederum hieß: gute Schuhe, Regenjacke, Essen, Wasser mitnehmen!!! Als ich aber in den Bus stieg, habe ich humorvolle Spanierinnen in leichten Sandalen und mit Umhängetaschen gesehen. Auch die lieben US-Amerikanerinnen waren eher … leicht bekleidet, was Schuhwerk und Rucksack betraf. Ich ärgerte mich schon ein bißchen, dass ich wahrscheinlich etwas verpasst hatte, von dem die anderen wussten. Ich war auf Berge, Wälder, Morast, wilde Bären, Tiger, geheimnisvolle Höhlen und dunkle Pfade eingestellt, aber angesichts der Bekleidung der anderen sah es mehr nach Kaffeefahrt aus.
Ach, wie gut, das ich mich so getäuscht hatte! Die polnische Seele ist eben doch den Wäldern verfallen. Wir sind zunächst an den Bergrand gefahren, und dann auf milde gesagt äußerst holprigem Gelände gute zwei Stunden bergan durch den tollsten Wald seit meinen guten heimischen Wäldern Richtung Bergspitze gestiefelt. Das einzig ärgerliche war, dass wir alle 500m auf unsere einst so optimistischen Mitstreiter warten mussten. Allerdings wurde es mir zwanzig Minuten vor Bergspitze zu bunt. Ich habe meinen Wandergang eingelegt und bin den anderen auf und davon. Aka, du wärst sicher sehr stolz auf mich – ich habe mir für dich auf meine Schulter geklopft. Und das Beste an dem Aufbruch war, dass ich endlich den endlos scheinenden Wald ganz allein hatte. Die Gruppe war dann doch sehr laut, aber so weit vor ihnen war es still. Der Wald schluckt nach nur wenigen hundert Metern fast sämtliche Geräusche. Vom restlichen Teil des Ausfluges gibt es bis zur Rückfahrt nicht all zu viel zu berichten. Die hatte es dann aber in sich. Gerade als wir zwei Minuten auf der Straße Richtung Wroclaw fuhren, baute sich vor uns ein Stau, verursacht von einem Unfall weit (!) vor uns auf. Wir standen. Ich stellte mich schon auf eine längere Wartezeit ein, und bedauerte, dass ich gestern dann doch keine Wodkaflasche und ein paar Chips gekauft hatte. Aber da sagte unser Busfahrer, das er versuchen würde zu wenden. … Ein Reisebus. Auf einer 3m breiten Landstraße. Im Stau. Olé.
Nun ja. Er hat es versucht. Irgendwann stand er quer auf der Straße und blockierte damit stur den Verkehr von vorne – das heißt die Autos, die doch gewendet sind um zurück zu fahren. Aber hey, aufgeben ist nicht. Er ist wieder in die Ausgangsposition zurück und dann 1km rückwärts gefahren – auf der linken Spur – bis eine Stelle gefunden hatte, an der er wenden konnte. Ich glaube nicht, dass ein deutscher Busfahrer auf die Idee gekommen wäre, mal eben locker flockig 1000m auf der anderen Seite zurück zu fahren.
Gott sei Dank bin ich in Polen.
Als letztes (herrje, das ist ein langer Blog) bleibt noch die Geburtstagsparty mit eingangs erwähntem Feueralarm zu vermerken. Am Freitag feierte ein Erasmusstudent seinen Geburtstag, und hat zu diesem erfreulichen Anlass rund 200 andere Studenten aus dem Wohnheim auf sein Stockwerk eingeladen. Es war ganz nett, doch, aber um halb Zwölf habe ich mir gedacht, dass ich, wenn ich am Samstagmorgen mit wilden Bären kämpfen muss vielleicht einigermaßen nüchtern und ausgeruht an die Sache rangehen müsste. Also bin ich kurz nach dieser messerscharfen Erkenntnis (ein Uhr nachts) ins Bett und anschließend in den Schlaf gefallen. Leider leider leider hatten ein paar witzige Zeitgenossen das Rauchen vom Balkon und vom Flur (wo der Rauchmelder zugeklebt ist) in weniger luftige Bereiche verlegt. Was einen nervtötenden Alarm auslöste. Ich bin irgendwie aufgewacht (William nicht, der schlief ganz richtig einfach weiter), habe mein Handy, meine Kamera (?) und meine Uhr (!) gesucht, die Typen die Rauchen verflucht (nicht dich Konny) und bin mit 30 anderen schlafverstrahlten Gestalten mal eben so lockere 13 Stockwerke nach unten gewatschelt, um mitgeteilt zu bekommen, dass wir wieder ins Bett gehen sollten. 13 Stockwerke nach oben.
Ohne Fahrstuhl. Nachts. Nach 45 Minuten noch-nicht-nüchtern Schlaf.

In diesem Sinne: Macht es gut, ich mach’s derweil ein bißchen besser. (Hey, ihr lest eh nicht bis hier unten, also kann ich mir das erlauben). Ich freu mich auf weitere interessante Begebenheiten.

Euer Robert.

5 Kommentare:

Robert Weidlich hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Melissa Weihmayer hat gesagt…

Wortschatz: (was fur eine Arbeit!)


erwaehnen: to mention
vernuenftig: logical, reasonable, rational, decent (die Vernuenft)
etw. ueber die Buehne bringen: etwas machen bis zum Ende, neutral
etw. ausnutzen: took advantage of
zurecht finden: seinen Weg/ Umgebung kennen
die Voraussetzung: conditions (requirements)
angesichts: in the light of, in face of, given the fact that --> Angesichts der Finanzkrise, ware es besser...
das Geraet: equipment
Abstand nehmen: nicht so schnell darueber denken
das Dickicht: brush, thick foliage
betrachten: lange etwas angucken
ausmachen: erkennen
vorherrschende: predominant
r Ausruf: exclamation
maechtig: mighty
stieben: auseinander gehen, fly apart
ausloesen: activate, initiate
recht zuegig: sehr schnell
das Ufer: shore
von seiner Pracht einbussen: es wuerde seine Schoenheit nicht verlieren (wenn, z. B. Robert ein a
der Reiz: attraction, charm, appeal
Verbreitung: widespread
sich an etwas (dat) erfreuen: to rejoice in something
etwas auf Vordermann bringen: etwas reparieren
ein Augen zu druecken: look the other way (a policeman, z. B)
Begleiter: companion
wiederum: deswegen (?) was fur mich wiederum hiess...
Umhaengetasche: messenger bag
Kaffeefahrt: alte Leute Ausflug
getaeuscht: nicht recht haben
jemandem (etw.) verfallen sein: to be taken to or with something
milde gesagt: mildly stated...
aeusserst: sehr, fast extrem
holprig: rugged! (wie terrain) a person cannot be "holprig"
stiefeln: gehen, "stride", was man in holpriges Terrain macht
etw. ist mir (dat) zu bunt: es nervt mich so sehr, es wird mir zu bunt!
sich auf und davon machen: abhauen
auf die Schulter klopfen: pat on the shoulder
r Aufbruch: der Moment wenn du los gehst
schlucken: swallow
saemtlich: alle
verursachen: to cause, to produce
wenden: turn the other way, nur mit dem AUTO
quer: perpendicular
stur: stubborn, dickkoepfig
die Strassenspur: lane in a street (die Spur is a trace)
locker flockig: ohne probleme
etwas vermerken: to note down, to record
nuechtern: sober
messerscharfen: ironisch, gut oder deutlich erkannt
zukleben: paste
aufkleben: glue, stick
zusammenkleben: to attach together
der Kleber: glue
etwas klammern: staple together
jemanden verfluchen: to curse someone
verstrahlten: "radiated"
die Gestalt: figur
watscheln: to WADDLE! (hehe) wie die Enten
Begebenheiten: Ereignisse

Danke, Schatz, fur den Deutschunterricht :-)

Jack Devil hat gesagt…

Hallo Robert! Wie geht´s dir in ehemaligen Deutschland?
Kannst du vielleicht dein Blog auf Italienisch schreiben... ich verstehe noch nicht so gut Deutsch!
Mit Heissen hundlichen Gruessen

Edoardo

Unknown hat gesagt…

Hallo Robert,
du hast schon lange nichts mehr in deinem Blog geschrieben. Dabei fände ich es schön mal wieder ein paar Bilder zu sehen und zu hören was du so machst.... im Gegenzug halte ich dich übers Theater auf dem Laufenden :)
Grüße aus dem kalten Deutschland.
Mone

Anonym hat gesagt…

Hey Robert, irgendwie unglaublich - Du guckst von Deinem Wohneim fast genau auf meine letzte Wohnung, die Bilder und Impressionen kenne ich alle (Fabian hast Du z.B. auf dem Weg von Pl. Solny aus in richtung Bibliothek/Helios/jüdisches Viertel fotographiert), Polnisch hab ich wie Du Montag und Mittwoch gehabt. Es ist zum nostalgisch werden. Letztens ist mir Steffen Möllers Buch in die Hände gefallen, vieles habe ich schmunzelnd wieder erkennen können, und mit manchem war ich gar nicht einverstanden. Ich persönlich find Polen sehr ähnlich zu Amerika...
Ich fahre am 5.12. zu Piotreks Geburtstag wieder nach Wroclaw, bist Du an diesem WE da?
Liebe Grüße!
Marie