Donnerstag, 25. März 2010

Schweden, Teil 2.

Feueralarm und ein heroischer Gast
(Donnerstag, den 11.02.2010 beschreibend. Nachmittags in einem Café)

Ich schlief gut und ebenso begann der Morgen. Ich umging den Andrang auf die Waschräume mit einer Acht-Uhr-Dusche und nachdem ich geputzt und gestriegelt mein Frühstück beendet hatte, drückte einer der Hostelangestellten (Thailänder...) auf den Feueralarmknopf. Es sei erwähnt, dass im Haus nichts brannte. In der Straße auch nicht, und es würde mich nicht wundern, wenn in Stockholm auf Grund der eisigen Temperaturen bis Mitte Mai gar kein Feuer ausbrechen kann.
Dieser Witzbold hier allerdings schien anderer Auffassung zu sein. Fast stolz zeigte er mir noch den Knopf, den er (wohl versehentlich?) leicht gestreift hatte. Das ganze Haus und auch die gesamte Straße, wie ich später erfuhr, wurden von einem grauenvollen Piepen und Dröhnen und Hupen erfüllt. Bemerkenswert jedoch die Reaktion im Hostel: Ich für meinen Teil öffnete die Rezeptionstür, um die Echtheit des Alarms zu überprüfen. (Unecht, wie gezeigt.) Daraufhin kehrte ich in mein Zimmer zurück, um Pawel und Ewelina zu informieren. Hernach widmete ich mich dem Spülen. Der Alarm durchdrang dabei immer noch das ganze Haus. Der Thailänder versuchte per Handy seinen Chef zu erreichen. Um 8:30 Uhr ging der Alarm los. Um 8:40 Uhr zeigten sich die ersten verstörten Gäste. Vornehmlich Spanier, die sich über den Krach beschwerten, weil sie weiter schlafen wollten. Zwei Gäste immerhin erkannten den vermeintlichen Ernst der Lage und standen komplett angezogen und gepackt - bereit vor den Flammen zu fliehen. Da es keine Spanier waren, klärte ich sie auf, woraufhin sie in ihren Zimmern verschwanden. 8:45 Uhr. Ein Unter-Chef war eingetroffen und telefonierte ebenfalls. Der Thailänder hatte währenddessen seinen Putzwagen geschnappt und versuchte ihn durch die immer größere Menge Hostelgäste zu schieben, um seine Arbeit zu beginnen. 8:50 Uhr. Der Chef scheint einen ruhigen und festen Schlaf zu haben. In das Huten und Tuten den Alarms mischt sich immer lauter werdendes Gemurmel. Von der letzten Nacht gezeichnete Gesichter trinken den ersten Kaffee. Ein Spanier ist einfach nicht zu beruhigen und wird von seinen Gefährten folgerichtig ignoriert. Ich packte, sagte meinen selig schlummernden Nachbarn tschüß und ging los. Aber es ist schon erstaunlich, wie immun wir in unserem behüteten Europa gegen ernst zu nehmende Probleme sind: Da geht um halb neun Uhr in der Frühe ein Feueralarm los, und es dauert 10 Minuten, bis die ersten fliehen wollen. Wer schon mal ein Feuer gesehen hat, der weiß, dass ein Funke keine 10 Minuten braucht, um zu einem unangenehmen Problem zu werden. Unnötig zu erwähnen, dass im Falle eines wirklichen Feuers alle Hostelgäste von dem einzigen, vernünftig denkendem Gast in waghalsigen Aktionen gerettet hätten werden müssen. Woraufhin dieser Gast mit unzähligen Orden, Preisen und Aufmerksamkeit belohnt hätte werden sollen. Mit diesen heroischen Gedanken machte ich mich auf den Weg. Das erste Ziel, sollte das Vasamuseum sein.

Warten auf die Vasa

(Donnerstag, 11.02.2010. Am Nachmittag in einem Café, den Tag bis hierher erzählend.)

Das Vasamuseum beherbergt eine Art schwedisches Nationalsymbol: Ein im 17. Jahrhundert bei der Jungfernfahrt gesunkenes Schiff. Na, wenn das mal nicht Spannung versprach.
Ich hatte in weiser Voraussicht zwei Pullover angezogen, aber trotzdem durchdrang mich die Kälte nach nur ein paar Schritten. Es war sonnig, aber lausig kalt und als ich nach einer halben Stunde am Museum ankam, wünschte ich mir ein kleines Feuerchen herbei … . Stattdessen musste ich jedoch noch eine Stunde warten, bis das Museum öffnete. Ich sah mir die aufsteigende Sonne an, die schwindenden Nebel, die kleinen, schaukelnden Schiffchen, und das Eis, das einen Teil des Hafens bedeckte. Ein Bild voller Ruhe und Erholsamkeit. Und Kälte, falls ich das noch nicht erwähnt hatte.
(Es war wirklich lausig kalt)

Ich dachte ein wenig darüber nach, was ich vom Vasamuseum gehört und gelesen hatte. Es soll wirklich etwas besonderes sein und sehr toll. Jede Krone wert und eine Bereicherung. Zwar konnte ich mir nicht ganz vorstellen, wie ein bei er Jungfernfahrt gesunkenes Schiff, sprich ein Paradebeispiel für menschliches Versagen (Hallo? Wenn ich ein Schiff baue, dann ist mein Hauptaugenmerk darauf gerichtet, dass es schwimmt!!!) zu einem wichtigen Symbol aufgewertet konnte, aber ich war gerne bereit, mich überraschen zu lassen. Zumal es draußen richtig kalt war. Das Geheimnis ist nicht so sehr das Schiff, als viel mehr der Fund und die Bergung selbigens. Quasi nicht der Goldteller, den man verloren hat, sondern der Fakt, dass man ihn unversehrt wieder gefunden hat. (Oder ein aktuelleres Beispiel: Nicht die Gitarre, die verloren wurde, sondern das Wiedererlangen selbiger). Aber langsam. Das Museum erfüllte alle Vorhersagen. Es war schlicht und ergreifend großartig. Die Kassiererin ließ meinen lächerlichen Papierstudentenausweis der „Elite“ Universität Heidelberg gelten, und ich bezahlte den ermäßigten Preis. Schon das allein wäre für mich Grund genug, das Museum in den höchsten Tönen zu loben. Ich betrat eine riesige Halle, in der ein riesiges Schiff alles überstrahlte. Um das ganze gewissenhaft anzugehen (ich hatte, ehrlich gesagt nur zwei Zeilen im Reiseführer über den Hintergrund des Schiffes gelesen) schaute ich mir zunächst einen 25minütigen Film über das Was und Warum der Vasa an. (Vasa, übrigens, ist der Name des Schiffes).

Was passiert, wenn ich nicht um Rat gebeten werde.

(Weiterhin den 11.02. beschreibend, mittlerweile bei der zweiten Tasse Kaffee angelangt)

Demnach befahl der schwedische König Gustav II um 1620 herum den Bau des Schiffes. Es sollte in erster Linie prunkvoll sein und außerdem seine Macht widerspiegeln.
(Hier aber zeigt sich schon der alles entscheidende Fehler: Ich hätte gesagt es muss: 1) SCHWIMMEN! 2) Prunkvoll sein 3) Meine Macht widerspiegeln) Aber weiter. Schweden war zu dieser Zeit im Krieg mit Polen. (Wieder muss ich einhaken: Was kann einen dazu bewegen, mit Polen einen Streit anzufangen? Ging es darum, wer der gastfreundlichste von beiden ist?) Nochmal: Schweden war zu der Zeit im Krieg mit Polen und wollte den Gegner beeindrucken. Als ob sich die Polen von einem Stück Holz, das schwimmt (oder auch nicht) beeindruckt gezeigt hätten. Einen Polen beeindruckt man, indem man ihm zeigt, wie man einen Streit mit seiner Frau gewinnt. Und wieder einmal ist bewiesen, wie unvernünftig es ist, mich nicht um Rat zu fragen. Aber ich schweife ab. Gustav also befahl den Bau der Vasa und das es nur vernünftig sein kann, was ein König befiehlt, begann man Bäume zu fällen, Leinen zu weben und all das zu tun, was für einen Schiffsbau notwendig ist. Dummerweise änderte Gustav während der Bauarbeiten mehr als einmal seine Meinung. So befahl er beispielsweise nicht nur eine Reihe von Kanonenvorrichtungen auf jeder Seite, sondern zwei je übereinander liegende. Das jedoch hätte eine Erweiterung des Schiffrumpfes in die Breite verlangt, was beim damaligen Baustand nicht mehr durchzuführen war. Außerdem wurden zum Bau Holländer angestellt, die damals als Pioniere des Schiffbaus galten. Nun ist es aber naturgegeben so, dass die Kanäle in Holland eher flach sind. Zumindest weit weniger tief, als die Ostsee, auf der die Vasa letztendlich schwimmen sollte. Das wiederum hatte zur Folge, dass die Holländer den Rumpf ihrer Schiffe generell weniger breit bauten, als es notwendig gewesen wäre. Anstatt also den König auf diese Unstimmigkeiten hinzuweisen, wurde gebaut und gehämmert und gestaunt und am 10. August 1628 versammelte sich eine nicht zu verachtende Menschenmenge auf den Hafenanlagen Stockholms, um zu sehen, nun ja, um zu sehen, wie dumm es ist, mich nicht um Rat zu fragen. Laut Chronik wippte das Schiff ein paar Mal auf und ab, ein paar Segel flatterten und dann legte es sich langsam auf die Seite. Die zwei übereinander liegenden Kanonenreihen ließen das Wasser wunderbar hinein laufen, und die Vasa sank noch im Stockholmer Hafen. Und das größte Wunder kommt meiner Meinung nach erst noch: Man hat 333 Jahre lang vergessen, wo es sank. Ja ist denn das zu fassen? Da steht halb Stockholm am Hafen, ein 69m langes Schiff sinkt, die Stadt guckt zu, fährt dann noch mit Rettungsbooten zur Unfallstelle, und vergisst dann den genauen Ort? Man barg zwar ein paar Jahre später die Kanonen, aber so gar keine Aufzeichnung und Ortsbestimmung?

Die Vasa wird geborgen

(Donnerstag, den 11.02. Revue passieren lassend. Nach mehrmaligem Toilettengang im Café)

951 fand ein Hobbyarchäologe – der meiner Meinung nach der Held der Geschichte ist – mit Hilfe eines selbst gebauten Gerätes das Wrack. Er ließ an einem langen Seil (Wir erinnern uns: Die Ostsee ist tiefer, als ein holländischer Kanal) systematisch einen Metallpfeil zum Grund hinab, in der Hoffnung, dass sich in der hohlen Spitze des Pfeils ein bißchen Holz des Wracks festsetzt. Und tatsächlich holte er alsbald ein Stück alter Eiche nach oben. Die Vasa war wieder gefunden und die Bergung, über die das Museum ebenfalls ausführlich berichtet, ist mindestens ebenso bewundernswert wie der Untergang und der Fund.
Taucher bohrten in ca. 6m Tiefer unter dem Wrack sechs Tunnel, in die hernach Stahlseile eingeführt wurden. Dann postierten sich zwei Trägerschiffe links und rechts über der Vasa und Winden begannen die Stahlseile gleichmäßig nach oben zu ziehen. Das Wrack hielt, die Seile und das Vertrauen der Bergungsmannschaft ebenfalls und irgendwann stand die Vasa resaurationsfertig wieder im Stockholmer Hafen. Nach 333 Jahren. 17 Jahre lang tüftelte, schaufele und suchte man an ihr herum und heute kann man das Wrack bestaunen. Es ist wirklich einmalig.

Kälteresistente Schweden und ausgestopfte Schwalben
(immernoch Donnerstag, den 11.02.2010 beschreibend, schreibend, schreibend...)

Das Museum ist auf sieben Etagen verteilt. Im das Schiff herum führen auf jeder Ebene Emporen mit Erläuterungen der Struktur des Schiffes und zu den Lebensverhältnissen in Stockholm zu jener Zeit. Fundstücke und Skelette von Bord der Vasa, deren Gesichter rekonstruiert wurden, sowie knappe, dabei höchst informative Plaketten runden das ganze ab. Ich brachte zwei Stunden im Museum zu. Der einzige meteorologische Unterschied zur Welt außerhalb der Halle bestand im fehlenden Wind. Ich behaupte, dass bei Schweden der Punkt, an dem sie das Wort „kalt“ benutzen würden, ab einer Temperatur unterhalb des dreistelligen Minusbereiches einsetzt.
„Sag mal, Sven, was hält dich so fit?“ „Naja, ich gehe jeden Morgen eine Stunde im See schwimmen.“ „Bei den Temperaturen?“ „Ach weißt du, mit der Axt ist die 50cm dicke Eisschicht schnell durchbrochen. …“ Ich plante den weiteren Verlauf des Tages. Ich wollte Museen seh'n, Seen sehen, Sehnen dehnen, nach denen ich mich schon lange gedehnt gesehnt habe. Gesagt, getan. Ich streckte meine Beine, warf einen Blick auf einen zugefrorenen See dem Museum gegenüber und machte mich auf den Weg zum Aquarium. Selbiges lag leider innerhalb eines Parks, den ich zwar gerne besucht hätte, aber dessen Eintrittspreis mich ein wenig abschreckte. Außerdem machte er den Eindruck, als ob er eine super Sommerattraktion wäre. So verlegte ich den Besuch auf wärmere Tage. Auf dem Rückweg kam ich am Biologiemuseum vorbei. Zwar sagte der Reiseführer nur, dass man die gesamte skandinavische Tierwelt zu sehen bekäme, aber für ein paar ausgestopfte Tiere 30 Kronen … . Jedoch gefiel mir das Haus von außen (eine Art überdimensionale Schwedenhütte) und ich hegte die törichte Hoffnung, dass es drinnen wärmer wäre. Ich trat ein, und es war alles andere, als ein Fehler. Das Mann am Schalter – er sah verdächtig nach einem Erik aus – fragte mich freundlich, ob ich etwas über das Museum wüsste. Ich hatte zwar gelesen, dass es einem Maler gehörte, aber ich verneinte seine Frage höflich. Ich hatte das Gefühl, als ob er nicht oft die Gelegenheit bekäme, mit echten Lebewesen zu kommunizieren, und wollte ihm die Freude tun. Erik schien auch sichtlich erfreut und begann einen kurzen Vortrag über das Haus. Es war eine um 1830 gebaute Kirche nach norwegischem Stil, die quasi von Beginn an eine Ausstellung der skandinavischen Tierwelt beherbergte. Ein Maler, der mit seinem Kumpel des öfteren auf die Jagd ging, um gefährliche Finken und blutrünstige Schwalben zu schießen, sammelte nach und nach alles, was er an Tieren in die Hände bekam. Erik erklärte fast entschuldigend, dass das Haus nur aus zwei Etagen mit ca. 200 Exponaten bestand. Mit einem Lächeln fügte er jedoch hinzu, dass die Tiere nicht leblos auf irgendwelchen Baumstümpfen säßen, sondern leblos in ihrer „natürlichen Umgebung“. Ich fand das ein bißchen übers Ziel hinausgeschossen, aber zu Eriks Verteidigung muss ich sagen, dass es zumindest ein wenig Abwechslung bot, die Tiere im Schilf, in Bäumen oder auf Felsvorsprüngen zu sehen, als nur stur auf … naja, worauf eben normalerweise ausgestopfte Tiere stehen. Obwohl sich mir immer noch nicht ganz erschließt, was einen dazu bewegt, ein so harmloses Wesen wie ein Reh oder einen Dompfaff hinterrücks abzuknallen. Aber wie schon im Vasamuseum zählte hier wohl eher das Wie und nicht so sehr das Was. Ich war jedenfalls nicht gänzlich abgetan, zumal mir Erik endlich meinen Elch bescherte.

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