Freitag, 19. Februar 2010

Samstag, 06.September 2008 und das Ende des Abenteuers

Samstag, 06.09.2008
Der Tag fing nicht sehr lustig an. Nicht nur hatte ich einen kleinen Kater, sondern auch Schnupfen und Halskratzen. Zusätzlich sollte an diesem Tag Agnieszka, eine unserer Kommilitonen und eine Bereicherung für den Unterhaltungswert in der Gruppe abfliegen, weil sie zurück zur Arbeit musste. Des weiteren ging es auch den meisten der Gruppe nicht sonderlich gut, zurückzuführen auf den gestrigen Abend samt vernichteter Lebensmittel.
Gut hingegegen ging es Gwenneth, ein Freund unseres Dozenten Frank. Seines Zeichens Waliser und als Historiker in Moskau seit Jahren tätig. Gwenneth spricht ausgesprochen gutes Deutsch und war auch sonst ein sehr angenehmer Reisebegleiter. (Hier nun ein kleiner Einschub: Was heißt: "spricht gut Deutsch und war auch sonst ... angenehm ... " ???) Ich weiß nicht, was und ob überhaupt ich mir etwas dabei gedacht habe ... ).
Wir trafen ihn am Bahnhof und er begleitete uns nach Sergeev Posad, eine Klosteranlage außerhalb von Moskau. Die Zugfahrt ließ mich eine Zeit lang das Unwohlsein vergessen. Genauer gesagt 2 1/2 Stunden lang. Der Zug war ein ansehnliches Model aus einer Zeit, in der Zugbauer noch Geschmack hatten, aber von attraktiver Bemalung soviel hielten wie unsere Hotelküche von gutem Essen. Sehr wenig bis gar nichts. Die sitze waren genauso tückisch, wie im Hotel. Von außen erweckten sie den Eindruck höchster Gemütlichkeit. Spitze für eine lange Zugfahrt. Ließ man sich aber mit einem wohligen Seufzer plumpsen, so ging man das Risiko ein, dass die Wirbelsäule mit einem häßlichen Geräusch senkrecht aus dem Körper schoß, denn die ach so gemütlichen Sitze waren Stahlplatten und nur mit einem dünnen Leder bespannt.
Dennoch gestaltete sich die Fahrt unterhaltsam. Nicht nur bekam man die Randgebiete Moskaus und später die ersten Grünflächen zu sehen, sondern man konnte auch die verschiedensten lustigen und weniger lustigen Dinge erstehen, die man für eine lange Zugfahrt braucht. Oder auch nicht braucht. Hatte man Geld und Humor konnte man wahlweise Topflappen, Tüten, die Bibel, Kugelschreiber, Badeschwämme, Bier, Bücher, CDs, DVDs, und, was mein Lieblingsexemplar war, einen Elektroschocker erstehen. Wozu braucht man einen Elektroschocker? Und wozu braucht man einen Elektroschocker auf einer Zugfahrt? Vielleicht für die Bärenjagd im Wald? Aber so ein Schocker kitzelt doch eine Bären höchstens. Die für mich einzig plausible Erklärung war, dass ich damit den Typen, die das Zeug verkauften mal gehörig meine Meinung geigen könnte.
Die Klosteranlage Sergeev Posad ist wirklich sehenswert. Die Mauern imponieren durch ihre Größe und Stärke und die Kathedrale in der Mitte der Anlage ist der am Kreml nachempfunden. Nachdem das Kloster 1408 von den Mongolen zerstört wurde, bot sie 200 Jahre später (wiedererrichtet) den Polen Paroli und dient seitdem als Symbol für den nationalen Widerstand. Die Polen scheinen mir tatsächlich eines der glücklosesten Völker der Geschichte zu sein, obwohl sie über Jahrhunderte im größten Staat Mitteleuropas lebten. Die einzig plausible Erklärung dafür, dass die Polen scheiterten wo ein mit Krummschwertern bewaffnetes Reitervolk Erfolg hatte ist die Romantik der Polen. Sie brachten es wahrscheinlich einfach nicht übers Herz eine so schöne Anlage zu zerstören.
Mich persönlich setzte an diesem Tag ein Virus oder ähnliches außer Gefecht. Ich setzte mich gegen 13 Uhr in den Schatten eines Baumes und war nicht viel später eingeschlafen. Die Beine weit von mir gestreckt, den Kopf auf meinem Rucksack muss ich ein seltsam sabberndes Bild von mir gegeben haben. Aber aller Lächerlichkeit zum Trotz ging es mir nach dem Nickerchen entschieden besser.
Wir trafen uns, nachdem wir uns in Gruppen oder jeder für sich das Areal angeschaut hatten. Wir hatten, was ich sehr vernünftig fand, genug zum Essen mitgenommen, um außerhalb der 1400m langen Mauer ein Picknick zu veranstalten. In Russland gibt es ein Gesetz, das, was ich sehr unvernünftig finde, es einem verbietet, in der der Öffentlichkeit Alkohol zu trinken. Nun stellt sich aber bei einem Deutschen an einem warmen Sommertag am frühen Nachmittag ganz sicher der Bierdurst ein. Gwenneth Erfahrung in Sachen Moskau machte sich bezahlbar. Es gibt in Russland wohl gleichzeitig kein Gesetz und keine Regel, die sich nicht durch ein eigenes Gesetz ein wenig verändern oder umgehen lässt. Während wir unsere Mitbringsel auf den kleinen Rasenstücken unter einer Leninbüste ausbreiteten, stiefelte Gwenneth los, um für seine deutschen Touristen ein wenig Bier zu besorgen. Toll! So saßen wir entspannt beisammen und ließen uns verbotenes Bier schmecken, was den Genuss natürlich gleich verstärkte. Außerdem lud uns Gwenneth zum Abendessen in seiner Wohnung ein, worauf ich persönlich mich sehr freute. Von Sergeev Posad machten wir uns auf den Rückweg. Im Zug wurden wir nur noch bedingt von wandelnden Ramschläden belästigt und ich konnte mein weniger ausgeprägtes Skattalent bei einer kleinen Partie zur Schau stellen.
Bevor es aber zu Gwenneth ging, mussten wir noch etwas Alkohol und Bier besorgen. Das stellte sich leider als unmöglich heraus. Die Läden verkauften an diesem Tage erst ab 20 Uhr derlei Waren und so gingen wir direkt zur Wohnung.

Hier, lieber Leser, hören meine Aufzeichnungen auf. Nicht, weil mich die Miliz schnappte und ich nur diesen Teil des Tagebuchs retten konnte. Eher liegt es daran, dass ich in den verbleibenden zwei Tagen keine rechte Zeit mehr fand.
Das ist einerseits schade, andererseits sehr typisch.

Vielleicht kann ich aber noch aus dem Gedächtnis etwas zusammenbringen.
Bei Gwenneth schlug das Virus wieder zu, und ich verbrachte die erste halbe Stunde auf der Toilette. Das fand ich nicht weiter tragisch, denn so entging ich den Essensvorbereitungen.
Es gab jede Menge Salate. Ich glaube, dass ein paar von uns losliefen, um Bier und Wodka zu besorgen. Denn ganz sicher war ich an einer Stelle des Abends ein wenig nicht-nüchtern. Es kamen noch Freunde von Frank und Gwenneth, mit denen ich Russisch sprach, und ich glaube ich verwickelte Frank in ein angeregtes Gespräch über ein Thema Russlands, das mich offenbar sehr beschäftigte. Kleiner Tip hier: Niemals mit einem kompetenten Menschen über ein Thema streiten, von dem man so gut wie keine Ahnung, aber eine feste Meinung hat.

Was gibt es noch? Ein paar von uns verließen den Abend früher, als Frank, Susanne und ich. Seitdem sind sie verschollen.
Ich habe keine Erinnerung daran, wann und wie wir den Rückweg zum Flughafen antraten. Ich weiß nur noch, dass ich während des Fluges Susannes Flugangst mit Pseudowissen bekämpfte. In Stuttgart nahm ich einen anderen Zug, als unsere Gruppe, und somit würde ich behaupten, endete das Moskauabenteuer. Und für dich, lieber Leser, die Fülle der Worte.

Aber keine Sorge. Ich war in Stockholm. Und ob ich meine Ziele dort aller erfüllt habe (Elche sehen, Pippi treffen, Knäckebrot essen), das folgt, sobald ich die Muße dazu hab.
Bis demnächst.
Robert.

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