Dienstag, 15. September 2009

Flug (2) und unser Hotel - Morgendliche Schwierigkeiten

Eine unerwartet lustige Abwechslung hält das Ausfüllen des Einreiseformulars bereit. Nennen wir es ein für das KGB-Archiv taugliches Papierchen. Ca. 2*3cm groß darf man neben dem Vatersnamen auch die Dauer des Aufenthalts angeben. Natürlich nicht ohne die üblichen Auskünfte in einem Formular wie diesem. Sprich: Versicherungsnummer, Kontonummer samt Passwort und Pin, jährliches Gehalt, politische Neigung etc. Schade, dass es so klein ist. Gerne hätte ich noch ein Passphoto eingeklebt, damit man auch meine Hautfarbe erkennen kann.

02.09.2008, 14:58 Uhr Moskau.
Um 14:58 Uhr, am 02.September 2008 war es dann soweit. Ich betrat zum ersten Mal in meinem Leben russischen Boden. (Hier muss ich eine kleine Einschränkung vornehmen, die mir erst im Nachhinein aufgefallen ist: Es muss korrekterweise „geographisch betrachtet russischen Boden“ heißen. Denn politisch-russischen Boden habe ich mehrere Jahre als kleiner Steppke zu DDR-Zeiten be-und getreten.)
Mit der Videokamera in der Hand und einem beherzten Sprung von der zweiten Stufe der Gangway begrüßte ich Russland.
Es empfing mich freundlich: Vom Flughafen ging es relativ flott in die Stadt und von einer Metrostation nahtlos zu unserem Hotel. Einen sozialistischeren Prunkbau kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Groß wie … ja, wie ein sozialistischer Prunkbau eben und von einer betäubenden Gleichheit umwoben.
Auf dem Weg zum Hotel fielen mir zahlreiche Ähnlichkeiten mit (Achtung!) den Vereinigten Staaten von Amerika auf: Rechts und links der Autobahn riesige Reklameschilder, wie ich sie nur von amerikanischen Highways kenne. Die Fußgängerampeln hier zeigen ebenso wie in Chicago die verbleibenden Sekunden an, ehe sie auf rot oder grün wechseln. Und auch das Metrosystem erfreut sich einer zweifelhaften Ähnlichkeit zu jenem, welches ich in Chicago kennenlernte: Man kauft eine Karte, auf der wahlweise 1, 5, 10, 20 oder 60 Fahrten „gespeichert“ sind und schiebt diese dann, bevor man in den U-Bahnschacht hinab steigt in ein kleines geheimnisvolles Kästchen. Dieses leuchtet erst rot, aber nach dem Füttern mit den Daten auf der Karte blinkt es (im Idealfall) grün. Die Gehschranke öffnet sich und man geht zur U-Bahn herunter. Gar nicht mal so doof.
Im Hotel erfolgt der obligatorische „Check-In“, der erfordert, dass unsere Reisepässe über Nacht bei der Hotelrezeption bleiben müssen. (Weiß der Geier warum – wahrscheinlich werden Kopien angefertigt, um im Falle einer Bevölkerungsexplosion die russische Bevölkerung mit ausländischen Pässen versorgen zu können.)
Wir erhalten jedoch im Tausch für die Pässe amateurhafte Papiere – ähnlich unseren Studienausweisen der Ruprecht-Karls Universität zu Heidelberg (nur größer, schöner und bedeutender). Diese erlauben uns den Zugang zum Fahrstuhl, zum Essensraum, zu unseren Zimmern, sprich: Zum Hotel. Sie dienen uns quasi als Schlüssel zu unserer Bleibe und wir sollten es tunlichst unterlassen, diese „Dokumente“ zu verlieren oder auf dem Zimmer zu vergessen.

Mittwoch, 03.September 2008.
Ich habe mein „Dokument“ auf dem Zimmer vergessen.
Der Handywecker hat mich um 07:30 geweckt. In unserem kleinen, aber feinen Badezimmer habe ich geduscht und bin dann knappe 60 Minuten mit dem Fahrstuhl aus dem 20. Stock in die Tiefe gefahren. Zuvor aber habe ich noch einen Blick aus unserem Hotelzimmer riskiert und erstaunt festgestellt, dass der Ausblick atemberaubend ist. Mit den ersten zwei Zeilen der russischen Hymne (warum kann ich immer nur den Anfang?) habe ich auf meine Art Moskau begrüßt.
Auf Bodenebene angekommen wollte ich in den Essensraum, dessen Betreten mir jedoch wegen mangels am nötigen „Dokument“ versagt wurde.
Ich bin ein friedliebender Mensch, aber man sollte es gefälligst unterlassen mich um mein Essen zu bringen. Und dann auch noch um die erste Mahlzeit des Tages!
Ich wurde vom freundlichen aber sehr bestimmten Fahrstuhlportier an die Rezeption geschickt (ich durfte den Fahrstuhl ja nicht benutzen – schließlich hatte ich mein „Dokument“ auf dem Zimmer vergessen). Dort befürchtete ich das Schlimmste: Anschreien von Seiten Rezeptionsfrau, höhnische Blicke meiner Mitstreiter, Rüge vom Exkursionsleiter, Geldstrafen, Miliz, Einsperren, Gulag, Verhandlungen um meine Freiheit, Abbruch der diplomatischen Beziehungen, Kalter Krieg – das Übliche eben.
Aber nein!
Nur eine Minute später hatte ich ein neues, frisch gedrucktes „Dokument“ in der Hand. Und das Schönste an dem ganzen Hick Hack war, dass ich das alles auf Russisch hinbekommen habe. So etwas macht Mut, also auf zum Frühstück!

Beschwingt von diesem morgendlichen (07:45 Uhr!) Spracherfolg begrüßte ich die Dame vor dem Speisesaal nicht nur mit einem Lächeln, sondern auch mit einem ehrlich gemeinten „Добрый день!“. Als ich den Saal betrat verhallte mein Добрый день und mein Lächeln erstarb augenblicklich. Der Saal war riesig (ich hätte es ahnen sollen) und das Essen in allen Nischen und Ecken versteckt. Es begann eine heitere Such-und Findtirade, an deren Ende ich mit einem Teller voller Salat, undefinierbarem Gebäck, Orangenstückchen, Gurke, Schinken und Käse und sogar einem Glas Ananassaft auf den Händen meine Truppe fand. Die Gurke schmeckte nach Erde und die Orange nach Wodka, ansonsten war alles langweilig normal.

Beim Essen machte mich mein Zimmermitbewohner Christian darauf aufmerksam, dass ich letzte Nacht unsere Tür offen gelassen hätte. Hierzu ein paar Worte. Zunächst zur Tür: Sie klemmt.
Nein. Sie klemmt nicht nur, sie ist Trägerin des Klemmpatents. Man muss, um sie von außen zu schließen, beherzt vom anderen Ende des Ganges Anlauf nehmen und sich ohne Rücksicht auf eigene Verluste dagegen werfen. Um sie von innen zu schließen bedient man sich des folgenden Tricks: Man befestigt das eine Ende eines Unterarm dicken Taus an der Türklinke und das andere an einem der drei Betten. Dieses schmeißt man dann zum Fenster hinaus. Der Zug sollte die Tür schließen. Das Bett kann man danach getrost nach oben ziehen.
Öffnen lässt sich die Tür übrigens problemlos.




An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass ich den Blog besser hätte gliedern sollen und können. Ich möchte hier für heute Schluss machen, da der Abschnitt, der das Ende dieses Tages beschreibt noch relativ lang ist, und somit der jetztige Blog eine gewisse Länge überschreiten würde, bei der die Konzentration nachlässt.
Als nächstes erscheint dann hier also noch die Beschreibung unseres ersten Abends sowie wertvolle Hinweise zur Überquerung einer Straße in Moskau.

Bis bald.
Robert

Freitag, 11. September 2009

Moskau 2 - Fahrt zum Flughafen und Flug (1)

Hallo! Ja, ich weiß. Das waren keine 2 Tage - das waren definitiv mehr. Aber hey, ich war in Montréal und weiß der Geier wo. Also keine Beschwerden, lesen!

Dienstag, 02. September 2008.
Karlruhe-Durlach, Stuttgart Flughafen.

Karlsruhe-Durlach. Verdammte Scheiße. Es ist 06:17 Uhr am Morgen und ich sitze im Zug irgendwo in der kargen Einöde zwischen dem verschlafenen Städtchen Durlach und der Smog verhangenen Großstadt Stuttgart. Mein Gepäck: Ein alter abgegriffener Rucksack an dem lustlos zwei Wanderschuhe hängen, die ihre besten Tage längst hinter sich haben. Mit mir im Zug eine handvoll verirrter Gestalten; Nachtschwärmer, vergessene Geliebte und Geschäftsmänner, die an diesem grau beginnenden Tag verzweifelt versuchen werden ihre bankrott zu gehen drohenden Firmen vor dem Finanztod zu retten.
Vor einer Stunde bin ich aufgestanden, habe den Wecker, der mich mit seinem Fiepen brutal aus einem unruhigen Schlaf gerissen hat zuerst ausgeschaltet und dann verflucht. Lustlos schob ich mir zwei Scheiben Toast zwischen die müden Kiefer und musste fassungslos feststellen, dass mir meine Brüder beim Online Fußball Manager um Längen enteilt waren. Und das am dritten Spieltag.


Womit wir bei den schönen Dingen des Tages wären: (Natürlich ist das eine sinnlose Überleitung, aber irgendwie muss ich ja zum schönen Teil kommen)

Es ist 06:17 Uhr am Morgen und ich sitze im Zug irgendwo in dem beschaulichen Landstrich zwischen dem märchenhaften Örtchen Durlach und der pulsierenden Weltmetropole Stuttgart. Der Stadt, die den nächstgelegenen größeren Flughafen beherbergt. Mein Gepäck: Zwei lustig an einem gut betagten Reiserucksack bammelnde Wanderschuhe, freudig erregt, eine der größten Städte der Welt zu erlaufen: Moskau. Mein Rucksack darf auf diese Weise auch noch einen „Exot“ in seine Liste mit aufnehmen, bevor er wegen Altersüberschreitung seine letzten Jahre als Wäschetransportrucksack abdienen kann.
Mit mir im Zug warten Reisende ebenso wie ich darauf, was der noch so junge Tag bringen mag. Mein Wecker meldete mir vor einer Stunde den Start in ein Abenteuer an, welches verspricht aufregend zu werden. Nun denn, harren wir der Dinge, die da kommen.

09:00 Uhr. Ich sitze im Flugzeug.
Am Bahnhof stand ich nahe der Rolltreppe, als meine Mitreisenden aus Heidelberg eintrafen. Gelaunt, wie man es nach einer kurzen Nacht nun einmal ist begrüßten wir uns und machten uns auf den Weg Richtung Flughafen. Frank (Dozent des Seminars, auf dessen Basis wir diese Exkursion starteten) erheiterte uns mit ein paar abenteuerlichen Flugzeug -und Reiseberichten aus seiner Zeit in Rußland. Pardon. Der Sowjetunion.
Wusstet ihr, dass es einfacher ist aus Stuttgart nach Ankara zu kommen, als nach Mannheim? In den 40 Minuten, die ich am Flughafen verbrachte hätte ich die Möglichkeit wahrnehmen können ganze drei Mal in die türkische Hauptstadt zu fliegen. Und wenn ich verdammt fix gewesen wäre, hätte ich die gleiche Reise im Abstand von nur fünf Minuten unternehmen können.
Da ich aber lieber Zug fahre, hätte ich wohl eher einen der beiden Züge bestiegen, die täglich Richtung Ankara aufbrechen.
Nach Mannheim stellt sich die Verbindung schon etwas komplizierter dar. Aber warum wollte ein Schwabe auch nach Baden. Und, unter uns, Türken gibt es auch in Ankara.

Wie dem auch sei. Nun sitze ich im Flieger nach Moskau (ob es da auch Türken gibt?) und genieße überteuerten aber nicht zu verachtenden Kaffee und versuche meine Russischkenntnisse ein wenig mit Puškins Gedichten aufzubessern. Eine Strophe des Gedichtes „Winterlicher Weg“ kann ich schon auswendig: Сквозь волнистые туманы …
Mein Sitznachbar bietet mir an, auf einem kleinen Ipod oder wie auch immer man diese Dinger nennt einen Film mit ihm zu schauen. Sehr nett, aber ich lehne ab: Einen Knopf links im Ohr mit Filmdialogen und die Lautsprecherdurchsagen des Kapitäns im rechten – das mag ich nicht so sehr.
Nett: Der Pilot gibt die Reiseroute durch: Von Stuttgart geht es nach Nürnberg, südlich an Dresden vorbei und dann Richtung Warschau. In Gedanken stimme ich die polnische Nationalhymne an. Leider kann ich noch nicht den ganzen Text auswendig, weshalb ich stattdessen munter ein polnisches Geburtstagslied vor mich her trällere.
„Schaderweise“ sitzt Agnieszka, unsere polnische Kommilitonin zu weit entfernt, als dass sie mich hören würde. Und über die Köpfe von 20 grimmigen Russen hinweg möchte ich keine polnischen Weisen schmettern. Von Warschau ist nicht viel zu sehen. Quiz: Warum?
a) Weil es nach 1945 nicht wieder aufgebaut wurde
b) Weil es jetzt „Warsinka“ heißt und somit eindeutig russischen Charakter hat
c) Der vielen Wolken wegen

Meine beiden Sitznachbarn sind eingeschlafen (der Film wird wohl nicht so berauschend gewesen sein) und ich widme mich wieder meinem Gedicht.
Nebenbei möchte ich glücklich bemerken, dass ich erst zum zweiten Mal auf einem Flug die Gangreihe zugelost bekommen habe. Zwar hängen mir alle paar Minuten die Vorder -und Rückseiten verschiedenerartiger Menschen ins Gesicht (groß, klein, beleibt, bebust, wohlriechend und weniger wohlriechend) und ein ums andere Mal entgehe ich nur knapp heißen Kaffeeattacken (3 Doppelkonsonanten/vokale!!!), aber dafür habe ich Beinfreiheit und kann aufstehen wann immer ich will. Dafür nehme ich auch verschiedenste bammelnde Menschenteile in Kauf.


Nächstes Mal:
Die Herrausforderungen des korrekten Ausfüllens von Einreiseformularen und meine Ankunft in Moskau.

Donnerstag, 3. September 2009

Moskau, Moskau ...

Heute ist der zweite September. Noch. Zumindest in dem Land, in dem ich mich gerade herum treibe. Ich sitze im Flughafen Washington DC/Dulles und warte auf meinen Flug nach Boston. Es ist 21 Uhr abends Ortszeit, wie gesagt, am zweiten September. Ich betone das deswegen, weil es genau ein Jahr her ist (die Uhrzeit mal außer Acht gelassen), dass ich am Stuttgarter Flughafen saß und auf ein Flugzeug wartete, das mich in die russische Hauptstadt bringen sollte. Vor ein paar Monaten hatte ich versprochen, dass ich im September in diesem Blog den Reisebericht zu der Exkursion nach Moskau vom letzten Jahr folgen lassen wollte. Dass ich dieses Vorhaben genau an dem Tag angehen würde, an dem ich ein Jahr zuvor zum ersten Mal im Leben russischen Boden berühren sollte (zumindest geographisch betrachtet russischen Boden), konnte ich jedoch nicht wissen, und empfinde es daher als besonderes Glück. Ich habe mir mein Reisetagebuch durchgelesen. Mehrmals. Und ich war jedes Mal aufs neue erstaunt, wie sehr sich die Erinnerung nach nur einem Jahr verzerrt. In Polen habe ich ein wenig über Moskau berichtet und ich fand dann nie warme Worte für diese Stadt. Lese ich jedoch den Bericht, dann komm ich zu dem Schluss, dass mir der Aufenthalt und die Stadt selber doch irgendwie gefallen haben muss. Dieses „In-Vergessenheit-geraten“ kann mehrere Gründe haben:
Allgemein betrachtet, könnte die biologische Speicherfähigkeit des Gehirns ganz schlicht und ergreifend begrenzt sein. Das merke ich jedes Mal, wenn ich mich dabei ertappe, wie ich am Montag verzweifelt versuche zu rekonstruieren, was ich am Wochenende gemacht habe. Und da handelt es sich nur um 24-48 Stunden! Mein Albtraum ist der, dass eines Tages die Polizei an meiner Tür klingelt und mich fragt, was ich am letzten Donnerstag um 13 Uhr Mittags getan hätte. Ich würde gar nicht lange fackeln, meinen Lieben „Lebe Wohl“ sagen, den Polizisten meine Handgelenke entgegen strecken und mich abführen lassen. Ein zweiter Grund kann übertriebener Alkoholgenuss sein. Jeder, der mal das zweifelhafte Vergnügen hatte mit der Hilfe von Freunden (und schlimmer noch: von Fremden) die Puzzleteile der letzten Nacht in der Erinnerung zusammen zu setzen weiß ungefähr, was ich meine.
Dann gibt es noch nicht zu beeinflussende Faktoren: Hitze, Kopfstöße, und im Falle Moskaus: auch Prügelattacken der Miliz. Oder Prügelattacken als Milizionäre verkleideter Russen. Oder Prügelattacken als Milizionäre verkleideter Touristen. Oder eben einfach nur Prügelattacken irgendwelcher Leute. Und in meinem Falle nehme ich an, dass alle Gründe zusammen gekommen sind, und dass daher in meiner Erinnerung der Moskauaufenthalt negativ befleckt ist, während die Realität offensichtlich ganz anders aussah. In diesem Sinne wünsche ich viel Vergnügen beim Lesen. Ich werde versuchen jeden Tag oder … jeden zweiten Tag einen Bericht in einer gewissen Länge hier zu veröffentlichen. Ich werde ihn so übernehmen, wie ich ihn damals geschrieben habe, obwohl ich mich über einige Äußerungen meinerseits selber ziemlich wundern musste und muss. Aber änderte ich diese, änderte ich auch die Erinnerung. Und das möchte ich nicht.