Dienstag, 6. Juli 2010

Schwedenhobbies, Todesarten und das 18. Jahrhundert

Kurzerhand trat ich ein und mich umgab sofort diese gemütliche Atmosphäre, die von sauberen kleinen 18. Jh. Häusschen nun einmal ausgeht.

In dem ca. drei mal drei Meter großem Vorraum traten sich Rentner und Rentnerinnen auf die Füße. Alle in Schlange stehen und sich Richtung Kaffeebar drängelnd.
Ich legte ab, schnappte mir eines der ausgelegten Bücher und schlenderte durch die vier Räume, die allesamt mit Rentnern gefüllt waren. An den Wänden hingen Notenblätter und Skizzen, Musikinstrumente und Holzstiche. Leider allesamt auf schwedisch. Nachdem ich meine Runde beendet hatte fragte mich eine Kellnerin mit einem Lächeln, das Eis hätte schmelzen können, zuerst nach meinem Wohlbefinden, und dann, was einen so verteufelt gut aussehenden jungen, sportlichen Mann, wie ich es einer bin, in diese Gegen verschlagen hätte. Zumindest denke ich, dass sie das fragte, da sie mich auf schwedisch ansprach und ich kein Wort verstand. Ich erklärte, dass ich gerne das Museum sehen wollte (was ich eben schon hatte, aber das musst ich ihr ja nicht auf die Nase binden), woraufhin sie nach ihrem Chef rief. Der Chef sah verdächtig nach einem Karl aus. Karl lächelte mich an und ich erklärte ihm mein Anliegen. Daraufhin schüttelte er bedauernd den Kopf und sagte, dass das heute eine verschlossene Veranstaltung wäre und ich morgen wieder kommen sollte. Nun, da konnte ich nichts machen.

Ich packte mein Bündel, nahm eine Laute von der Wand, stopfte ein paar der Notenblätter hinein, erbettelte mir beim Wirt noch ein Stück Schinken und einen Kanten Brot und ging zurück in die Kälte, singend einer ungewissen Zukunft entgegen.

Als ich nach geraumer Zeit wieder im 21. Jahrhundert angekommen war, fand ich mich auf einer hohen (!) Brücke wieder, die ich im Beisammensein aller meinen geistigen Kräfte nie im Leben auch nur angeguckt, geschweige denn betreten hätte. Links ging es mehrere Dutzend Meter nach unten auf einen Eisschollen bespickten Fluss zu und rechts donnerten die LKWs an mir vorbei. Da ich aber schon fast die Hälfte erreicht hatte lief ich gerade aus weiter, in der Hoffnung mich irgendwann wieder erinnern zu können, wann und wie ich diese Ungetüm betreten hatte.

Bis dahin lenkte ich mich ab, indem ich mir überlegte, was der angenehmere Tod wäre. Vom LKW bis nach Dänemark geschleift zu werden oder aus 40m Höhe halb auf dem Wasser, halb auf einer Eisscholle aufzuschlagen. So ein paar Sekunden freier Fall … allerdings war ich nie in Dänemark … .

Ich hob mir beides für später – für sehr viel später – auf.


Auf der anderen Flussseite angekommen traf ich eine riskante Entscheidung: Ich betrat den zugefrorenen Fluss. Das reizte mich schon seit meiner Ankunft. Dieselbe Selbstverständlichkeit, die es mir normalerweise verbietet auf zwei dünnen Brettern einen schneebedeckten Hang hinunter zu flitzen, in einem Gewässer zu schwimmen, in dem es Haie gibt, hohe Dinge zu besteigen, Freeclimbing zu machen oder in den australischen Outback zu gehen, Bier aus Plastikflaschen zu trinken, Trinkspiele zu spielen, Schnecken zu essen, Baseball-Fan zu werden oder einfach nur mit einem Russen ein politisches Gespräch zu beginnen, diese Selbstverständlichkeit schickte ich nun in den Wind und betrat den Fluss.

Ich weiß nicht was es ist, aber schon als Kind liebte ich es im Winter auf dem See nahe unseres Dorfes zu stehen und die Umgebung zu betrachten. Vielleicht ist es die plötzliche Weite oder der komplette Wandel des Blickwinkels, die Faszination etwas Bekanntes aus einer unbekannten Sicht zu sehen, jedenfalls war ich wieder begeistert.

Ich lief parallel zum Ufer und machte nach einer Weile Rast auf einem Ministeg, dessen Bank auf wundersame Weise weder mit Schnee bedeckt, noch nass war. Ich aß meine Brötchen, trank eiskaltes Wasser und wäre fast wieder ins 18. Jahrhundert abgedriftet.

Aber vorher entdeckte ich dort, wo ich saß, eine leere Bierflasche und mir kam in den Sinn, dass in Schweden öffentliches Trinken verboten war. Ich finde das sehr unvernünftig. Und darüber nachsinnend fiel mir die Frage vom Morgen wieder ein, ob man Schweden irgendwie zur Weißglut treiben könnte. Mit dem öffentlichen Trinkverbot wohl nicht. Vielleicht wenn man ihre Museen heizen würde? Ich weiß es nicht. Also stellte ich stattdessen die drei Haupthobbies der Schweden auf: Joggen, sich in Geduld üben und um die Mittagszeit in Massen in Cafés sitzen. Reihenfogle beliebig.
Meine Rast war klasse, aber mein Koffeingehalt sank und das ist um die Mittagszeit gefährlich. Es würde noch ca. 40 Minuten dauern, bis ich in ein Café einkehren könnte und so machte ich mich wieder auf den Weg – mit dem Bündel über der Schulter und der Laute in den Händen.